Fr 16.4. / 20 Uhr / naTo
Eintritt 12,- / 10,- €
RASKOLNIKOW
Alternativtitel: Crime and Punishment
Musikalische Begleitung: Ensemble Marges (Katharina Uzal/Cello, Marija Kandic/Akkordeon, Michael Möstl/Klarinetten, Samuel T. Klemke/Gitarren)
Sprecher: Lars Meyer
Deutschland 1922/23
Regie / Drehbuch (nach dem Roman "Prestuplenie i nakasanie"/“Schuld und Sühne“ von Fjodor Michailowitsch Dostojewski): Robert Wiene
Kamera: Willy Goldberger
Darsteller: Gregori Chmara, Michail Taršanov, Marija Germanova, Marija Kryžanovskaja, Elisaveta Skulskaja
Bauten: Andrej Andrejew
Produktion: Neumann-Film-Produktion GmbH, Berlin
Uraufführung: 27.10.1923
Schwarzweiß
Zwischentitel Niederländisch (Deutsch eingesprochen)
Übersetzung Zwischentitel: Steffen Glück
Laufzeit: 150 min
Der Jurastudent Raskolnikow erschlägt eine alte Pfandleiherin und, weil sie Zeugin geworden ist, die hinzukommende Schwester der Frau. Von seinem Gewissen geplagt, gesteht er die Morde Sonja, der Tochter seiner Vermieter, in die er verliebt ist. Sonja, deren Vater Alkoholiker ist und deren Stiefmutter darüber verzweifelt, geht der Prostitution nach, um der Familie Geld zu verschaffen. Immer wieder gerät Raskolnikow auch gegenüber Petrowitsch, dem mit dem Mordfall beauftragten Untersuchungsrichter, an den Rand eines Schuldeingeständnisses. Immer wieder jedoch, scheint das Schicksal ein solches vereiteln zu wollen. Schließlich bekennt sich ein religiöser Fanatiker der Morde schuldig und tötet sich danach selbst – eine nur scheinbare Befreiung für Raskolnikow. Auch Sonja bedrängt ihn, nun erst Recht seine Schuld einzugestehen.
Schon die ersten Kritiken 1923 hoben die Meisterschaft hervor, mit der Robert Wiene, durch DAS CABINET DES DR. CALIGARI berühmt geworden, die "Seelenstimmungen" der Figuren umzusetzen verstand. Eine wichtige Rolle übernimmt dabei die Architektur, etwa die schier endlose Treppe im Haus des Mordopfers. Die Bauten, in ihrem verwinkelten und verzerrten Dekor ganz Caligarismus entwarf Andrei Andrejew. Wiene blieb mit der Inszenierung nahe an der literarischen Vorlage. Der Roman konzentriert sich vollkommen auf die psychischen Zustände Raskolnikows, und auch für den Film werden diese zum Hauptmotiv. Der Romantitel „Schuld und Sühne" akzentuiert die Signifikanz des moralischen Dilemmas, das aus den Umständen von Raskolnikows Verbrechen erwächst. Indem Wiene Raskolnikow zum Titelhelden seines Films macht, verlagert er die Aufmerksamkeit der Rezipienten noch mehr auf die Psychologie des Protagonisten, ihn selbst interessiert vor allem das Problem einer verbogenen und gequälten Subjektivität. Neben den Dekorationen sind es zahlreiche Großaufnahmen von Raskolnikows gepeinigtem Gesicht (das in seiner Unregelmäßigkeit und Faltigkeit die Dekorationen zu Verlängern scheint), die das Hauptthema des Films unterstützen.
In diesem Film, der oft als das letzte große Werk des deutschen Expressionismus bezeichnet wird, sind die Hauptrollen mit Schauspielern des Moskauer Künstlertheaters MChAT besetzt. Auch in Deutschland bekannt wurde Grigori Chmara, der – hier in der Rolle Raskolnikows – in Wienes nachfolgendem Bibelepos INRI – EIN FILM DER MENSCHLICHKEIT den Christus gab und in weiteren deutschen Filmen der 20er und 30er Jahre auftrat. Auch durch diese deutsch-russische Zusammenarbeit gehört Wienes Film zu den besten Verfilmungen von Dostojewski, da sich hier russische Schauspielkunst nach Stanislawskis Methode und die expressionistisch verfremdete Architektur ergänzen.(1)
Eine spielbare und neu restaurierte Kopie gibt es derzeit nur vom Niederländischen Filmmuseum. Die deutsche Übersetzung der Zwischentitel wird live eingesprochen.
1 Quelle: Jung/Schatzberg: Robert Wiene – der Caligari-Regisseur. Henschel 1995